Wegen fehlender Mitwirkung, also wegen fehlender Belege, Angaben oder Untersuchungen, können Sozialleistungen zu 100 % oder teilweise versagt werden. Das gilt z.B. für das Jobcenter, das Jugendamt oder das Sozialamt, für Sozialversicherungsträger wie z.B. Rentenversicherungsträger oder Unfallversicherungsträger und für ganz verschiedene Leistungen wie z.B. Bürgergeld, Sozialhilfe, Reha oder Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Die Mitwirkungspflichten haben Grenzen und das Recht auf das menschenwürdige Existenzminimum darf nicht verletzt werden.
Hinweis: Die Versagung wegen fehlender Mitwirkung ist etwas anderes als die Leistungsminderungen beim Bürgergeld. Minderungen dürfen höchstens 30 % des sog. Regelsatzes betragen und nur bei konkreter Arbeitsverweigerung entfällt der Anspruch auf den Regelsatz komplett. Näheres unter Bürgergeld > Kooperationsplan und Leistungsminderungen. Die bis zu 100%ige Versagung wegen fehlender Mitwirkung ist beim Bürgergeld zusätzlich möglich.
Sozialleistungen kann die zuständige Behörde oder der zuständige Sozialversicherungsträger teilweise oder komplett versagen, wenn Leistungsberechtigte gegen eine der folgenden Mitwirkungspflichten verstoßen:
Die Leistungen werden dann erst gewährt bzw. gezahlt, wenn die notwendige Mitwirkung nachgeholt wurde.
Die Mitwirkungspflichten haben aber Grenzen:
In diesen Fällen dürfen die Leistungen nicht versagt werden.
Wenn die Voraussetzungen für eine mögliche Streichung oder Kürzung der jeweiligen Leistungen vorliegen, heißt das nicht, dass das auch immer passiert. Denn ob die Behörde oder der Sozialversicherungsträger die Leistungen nicht, teilweise oder komplett versagt, ist eine sog. Ermessensentscheidung. Näheres unter Rechtsanspruch und Ermessen.
Bei der Entscheidung muss das Amt oder der Sozialleistungsträger alle wichtigen Umstände berücksichtigen, auch das Recht eines jeden Menschen auf das menschenwürdige Existenzminimum: Jeder Mensch muss in Würde leben können (siehe unten).
Neben der kompletten oder teilweisen Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung gibt es bei einzelnen Sozialleistungen weitere Möglichkeiten für verhaltensbedingte Kürzungen oder Streichungen der Leistungen, z.B.:
Eine Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung ist verfassungswidrig und damit unrechtmäßig, wenn das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt wird. Jeder Mensch in Deutschland hat das Recht darauf, in Würde zu leben, und weil Deutschland ein Sozialstaat ist, gibt es auch ein Recht auf das sog. menschenwürdige Existenzminimum. Dieses Recht gewährt das Grundgesetz und es bedeutet, dass jeder Mensch in Deutschland das Recht darauf hat,
Die Menschenwürde steht allen zu, egal, wie sie sich verhalten. Das gilt auch dann, wenn Menschen z.B. eine Untersuchung verweigert haben, oder ihre Kontoauszüge nicht vorgelegt haben.
Das Recht auf das menschenwürdige Existenzminimum gehört zu den wichtigsten Verfassungsgrundsätzen in Deutschland, die von der sogenannten Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes umfasst sind. Das bedeutet, dass es nicht aus dem Grundgesetz gestrichen werden kann, auch nicht durch eine Verfassungsänderung.
Es verstößt nicht gegen das Recht aufs menschenwürdige Existenzminimum, wenn der Staat nur wirklich Bedürftigen hilft. Deshalb darf ein Amt oder Sozialversicherungsträger auch für ein Leben in Würde notwendige Sozialleistungen kürzen oder streichen, aber nur,
Bei einer Versagung wegen fehlender Mitwirkung können die Betroffenen die Mitwirkung nachholen, also z.B. die fehlenden Belege nachreichen, die fehlenden Angaben machen oder die fehlende Untersuchung akzeptieren. So können Sie erreichen, dass sie die Leistung (wieder) bekommen.
Es hängt aber vom Einzelfall ab,
Es gibt bisher noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber, ob und ggf. in welchen Situationen die komplette oder teilweise Versagung von Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung verfassungswidrig ist. Solange das Bundesverfassungsgericht noch nicht über das Thema entschieden hat, kann aber niemand sicher sagen, wann genau eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung in Ordnung ist und wann sie verfassungswidrig ist.
Das Bundesverfassungsgericht kann zwar darüber entscheiden, ob einfache Gesetze, z.B. die Gesetze, die Sozialleistungen regeln, mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht, aber das darf es nicht von sich aus tun, sondern nur, wenn betroffene Menschen klagen.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 2019 über ein ähnliches Thema entschieden: über die sog. Sanktionen beim "Hartz IV". Das waren Kürzungen des damaligen Arbeitslosengelds II, das inzwischen durch das Bürgergeld ersetzt worden ist. Diese Kürzungen waren teilweise verfassungswidrig, unter anderem dann, wenn sie mehr als 30 % des sog. Regelsatzes umfassten, weil sie aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts unverhältnismäßig waren.
Seitdem gab es keine höheren Hartz-IV-Sanktionen mehr und "Hartz IV" ist nicht zuletzt aus diesem Grund Geschichte und wurde durch das Bürgergeld ersetzt. Näheres unter Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die früheren Sanktionen wurden durch sog. Leistungsminderungen ersetzt, die nur noch höchstens 30 % des jeweiligen Regelsatzes betragen durften. Erst zum 28.03.2024 wurde wieder eine gesetzliche Regelung geschaffen, wonach der komplette Regelsatz beim Bürgergeld während einer konkreten Arbeitsverweigerung entfallen kann. Näheres unter Bürgergeld > Kooperationsplan und Leistungsminderungen.
Aber die Versagung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung beim Bürgergeld gibt es immer noch und zwar sogar als komplette Versagung der Leistungen. Bei einer kompletten Versagung des Bürgergelds wegen fehlender Mitwirkung werden die Leistungen nicht nur um 30 % des Regelsatzes gekürzt, sondern um 100 %, was bedeutet, dass der ganze Regelsatz gestrichen wird. Aber das ist noch nicht alles: Nicht nur der Regelsatz kann gestrichen werden, sondern auch alle anderen Leistungen, z.B. die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und die Krankenversicherung. Betroffene können dadurch z.B. obdachlos werden und/oder Hunger leiden.
Außerdem gibt es die komplette Versagung wegen fehlender Mitwirkung immer noch bei den anderen Sozialleistungen, sogar bei der Sozialhilfe, bei Renten und bei Leistungen für Menschen mit Behinderungen.
Nach der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann unter Umständen eine komplette Versagung existenzsichernder Leistungen auch verfassungsgemäß sein, wenn Menschen sich weigern, eine aktuell verfügbare, zumutbare Arbeit anzunehmen, die bei ihrer Annahme tatsächlich ihre Existenz sichern würde.
Deshalb wurde zum 28.03.2024 das Gesetz eingeführt, wonach der Regelsatz beim Bürgergeld unter bestimmten Umständen komplett entfällt, solange Bürgergeldbeziehende verweigern, eine konkret verfügbare zumutbare Arbeit anzunehmen.
Doch anders als vom Bundesverfassungsgericht gefordert, steht in dem Gesetz nicht, dass der Regelsatz nur entfallen kann, wenn die verweigerte Arbeit bei einer Annahme tatsächlich die Existenz sichern würde. Insoweit kann es bei der Anwendung dieses Gesetzes zu verfassungswidrigen Entscheidungen kommen, wenn ein Job verweigert wird, mit dem nur sehr wenig verdient werden könnte.
2022 hat das Sozialgericht Berlin entschieden, dass das fürs Bürgergeld zuständige Jobcenter auch bei einer Versagung wegen fehlender Mitwirkung Folgendes berücksichtigen muss, wenn es nur um die Frage geht, ob das Jobcenter oder das Sozialamt zuständig ist:
Das Sozialgericht Berlin hatte dabei über den Fall einer Person zu entscheiden, die sich nicht untersuchen lassen wollte. So konnte das Jobcenter nicht klären, ob die Person erwerbsfähig ist, was aber Voraussetzung für die Zuständigkeit des Jobcenters ist. Bei fehlender Erwerbsfähigkeit ist das Sozialamt zuständig und muss Sozialhilfe zahlen. Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass es unverhältnismäßig ist, eine Person ohne lebensnotwendige Leistungen zu lassen, nur damit das Jobcenter nicht statt des Sozialamts zahlen muss, wenn es die Zuständigkeit nicht klären kann.
Andere Gerichte können in ähnlichen Fällen anders entscheiden, weil das Sozialgericht Berlin ein Gericht auf der untersten Stufe ist. Nur wenn das Bundessozialgericht oder das Bundesverfassungsgericht entscheidet, müssen sich die unteren Gerichte daran halten.
Gegen eine Versagung können Betroffene
Wird der Widerspruch abgelehnt, können sie klagen, Näheres unter Widerspruch Klage Berufung, und zwar je nach Zuständigkeit entweder
Auf dem Ablehnungsbescheid muss stehen, welches Gericht zuständig ist. Meistens ist für Klagen zu Sozialleistungen das Sozialgericht zuständig, aber manchmal ist es auch das Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht ist z.B. zuständig, wenn es um eine der folgenden Leistungen geht:
Betroffene können für ein gerichtliches Eilverfahren bzw. für eine Klage
Widerspruch, Klage und Eilverfahren gegen die komplette oder teilweise Versagung von Sozialleistungen sind in der Regel kostenlos. Eine Anwaltspflicht besteht nicht, d.h.: Betroffene können selbst entscheiden, ob sie sich dafür anwaltliche Hilfe holen oder nicht.
Etwaige Anwaltskosten müssen normalerweise
und werden nur dann erstattet, wenn das Verfahren gewonnen wird. Wer aber finanziell bedürftig ist und anwaltliche Hilfe braucht, kann hierfür Beratungshilfe bzw. Prozesskostenhilfe beantragen.
Bürgergeld > Kooperationsplan und Leistungsminderungen
Rechtsgrundlagen: §§ 61f, 65f SGB I