Widerspruch Klage Berufung

1. Das Wichtigste in Kürze

Wer als Betroffener mit einer Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers nicht einverstanden ist, kann dagegen Widerspruch einlegen und klagen, denn viele Bescheide von Behörden und Sozialversicherungsträgern (z.B. Krankenkasse, Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft, Agentur für Arbeit, Jobcenter und Versorgungsamt) haben weitreichende finanzielle Folgen. Dabei ist die Verfahrensreihenfolge zu beachten: Widerspruch, Klage, Berufung und Revision. Für Klagen wegen Sozialleistungen fallen in der Regel keine Gerichtsgebühren an. Wer anwaltliche Hilfe braucht, aber sich diese nicht leisten kann, kann dafür Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe beantragen.

2. Widerspruch

Widerspruch kann ein Betroffener im Sozialrecht in der Regel kostenfrei einlegen, wenn er mit der Entscheidung einer Behörde nicht einverstanden ist. Üblicherweise enthalten schriftliche Bescheide einer Behörde eine sog. Rechtsbehelfsbelehrung, aus der hervorgeht, in welcher Form und Frist, sowie bei welcher Behörde der Widerspruch eingelegt werden kann. Die Behörde überprüft dann selbst noch einmal ihre Entscheidung auf Fehler und gibt dem Widerspruch oft statt. Wird der Widerspruch ganz oder teilweise abgelehnt, so erlässt die Behörde einen sog. Widerspruchsbescheid. Gegen den Widerspruchsbescheid ist eine Klage möglich. Vor einer Klage muss in der Regel erst Widerspruch eingelegt werden (Vorverfahren), weil erst nach einem erfolglosen Widerspruch eine Klage zulässig ist. Durch das Widerspruchsverfahren werden die Gerichte entlastet.

In einzelnen Bundesländern kann es sein, dass kein Widerspruch eingelegt werden kann, sondern gleich eine Klage nötig ist. In diesen Fällen steht das in der Rechtsbehelfsbelehrung.

Nähere Informationen über das Widerspruchsverfahren sowie einen Musterwiderspruch gibt es unter Widerspruch.

3. Klage

Das Sozialgericht bildet die 1. Instanz der Sozialgerichtsbarkeit. Eine Klage kann schriftlich oder zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle des zuständigen Sozialgerichts eingelegt werden. Wer unsicher ist, wie eine Klage geschrieben werden soll, sollte die Rechtsantragsstelle aufsuchen und bekommt dort Unterstützung.

Im Sozialrecht fallen für Versicherte, Menschen mit Behinderungen und Sozialleistungsberechtigte keine Gerichtskosten an. Allerdings können Anwaltskosten anfallen, die nur bei einer gewonnenen Klage von der Behörde erstattet werden müssen. Es besteht bei einer Klage kein Anwaltszwang, d.h. der Prozess kann auch komplett kostenfrei ohne einen Rechtsanwalt geführt werden.

Wer anwaltliche Hilfe benötigt, aber sie sich nicht leisten kann, kann beim Sozialgericht formlos schriftlich oder zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts stellen. Hierzu erhalten die Antragsteller dann beim Sozialgericht ein Formular oder das Sozialgericht schickt es per Post. Manche Gerichte bieten es auch zum Download im Internet an.

Bei Klagen im Sozialrecht fordert das Sozialgericht oft medizinische Unterlagen ein und fordert dafür eine Schweigepflichtentbindung und eine Auflistung der behandelnden Kliniken und Ärzte. Manchmal holt es auch medizinische Gutachten ein. Betroffene bekommen dann einen Termin mit einem Sachverständigen, der das Gutachten daraufhin erstellt.

Die Klage endet oft mit einem Urteil oder einem Beschluss des zuständigen Sozialgerichts. Häufig wird auch ein Vergleich geschlossen. Das ist eine Einigung zwischen dem Kläger und der beklagten Behörde, die eine Gerichtsentscheidung überflüssig macht. Gegen ein Urteil kann Berufung vor dem jeweiligen Landessozialgericht eingelegt werden, gegen Beschlüsse des Gerichts heißt das Rechtsmittel Beschwerde.

Achtung: In manchen Fällen des Sozialrechts ist das Sozialgericht nicht zuständig, sondern das Verwaltungsgericht. Das ist z.B. beim BAföG und bei Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe der Fall. Welches Gericht für eine Klage zuständig ist, steht auf dem Widerspruchsbescheid in der Rechtsbehelfsbelehrung.

4. Berufung

Das Landessozialgericht ist die 2. Instanz der Sozialgerichtsbarkeit. Wenn ein Betroffener mit einem Sozialgerichtsurteil der 1. Instanz nicht einverstanden ist, kann er Berufung vor dem Landessozialgericht einlegen. Form und Frist stehen in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils. Bei einer Berufung besteht ebenfalls kein Anwaltszwang. Es gelten die gleichen Regeln zu den Kosten wie bei einer Klage.

Die Berufung endet mit einem Urteil oder Beschluss des zuständigen Landessozialgerichts. Auch die 2. Instanz kann mit einem Vergleich enden. Gegen ein Berufungsurteil kann in manchen Fällen Revision vor dem Bundessozialgericht eingelegt werden.

Ist die 1. Instanz das Verwaltungsgericht, so ist die 2. Instanz das Landesverwaltungsgericht.

5. Revision

Sollte das Berufungsurteil eines Landessozialgerichts nicht im Interesse des Betroffenen sein, kann er in manchen Fällen Revision vor dem Bundessozialgericht in Kassel einlegen. Das Bundessozialgericht bildet die 3. und letzte Instanz. Auch hier stehen Form und Frist in der Rechtsmittelbelehrung.

Es besteht Anwaltszwang, d.h. der Prozess muss durch einen Rechtsanwalt oder Verbandsvertreter geführt werden. Die Revision endet mit einem abschließenden Urteil oder Beschluss des Bundessozialgerichts, wogegen kein weiteres Rechtsmittel eingelegt werden kann. Auch in der letzten Instanz ist noch ein Vergleich möglich.

Verletzt ein Urteil der letzten Instanz Grundrechte, kommt noch eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht in Betracht. Im Sozialrecht kann man z.B. dann eine Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzt wird.

Ist die 2. Instanz das Landesverwaltungsgericht, so ist die 3. Instanz das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

6. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe

6.1. Beratungshilfe

Im außergerichtlichen Bereich, also auch im Widerspruchsverfahren, erhalten Betroffene Beratungshilfe, wenn sie anwaltliche Hilfe benötigen, aber sich diese nicht leisten können.

Auch wenn es um ein sozialrechtliches Verfahren geht, kann der Berechtigungsschein für die Beratungshilfe nicht beim Sozialgericht beantragt werden, sondern immer nur beim Amtsgericht.

Ausnahmen:

  • In Bremen und Hamburg gibt es anstelle der Beratungshilfe durch Rechtsanwälte öffentliche Stellen für eine Rechtsberatung.
  • In Berlin besteht Wahlrecht zwischen öffentlicher Rechtsberatung und Beratungshilfe durch Rechtsanwälte.

Näheres unter Beratungshilfe.

6.2. Prozesskostenhilfe

Wer vor Gericht anwaltliche Hilfe benötigt, aber sie nicht bezahlen kann, kann dafür Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen. Bei manchen Gerichtsverfahren heißt die Leistung Verfahrenskostenhilfe, aber das ist das Gleiche wie die Prozesskostenhilfe. Der Antrag kann beim zuständigen Sozialgericht bzw. Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift in der Rechtsantragsstelle gestellt werden.

Wenn die Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe innerhalb von 4 Jahren wegfallen, z.B. weil das Einkommen steigt, muss diese ganz oder teilweise zurückgezahlt werden. Veränderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (z.B. ein höheres Einkommen, eine Heirat, eine Scheidung oder eine Erbschaft) müssen Betroffene deshalb in dieser Zeit von sich aus dem Gericht melden, das die Prozesskostenhilfe bewilligt hat.

7. Fristen

Die oben genannten Verfahren müssen in der dafür vorgesehenen Frist eingeleitet werden. Wer eine Frist ohne Verschulden versäumt, kann einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellen. Das gilt z.B. wenn Menschen wegen eines unerwarteten Krankenhausaufenthalts ihre Post nicht öffnen konnten. Es gelten in der Regel die folgenden Fristen:

  • Frist im Normalfall: 1 Monat
  • Frist bei Wohnsitz im Ausland: 3 Monate
  • Frist bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung oder Rechtsmittelbelehrung: 1 Jahr

8. Gerichtliche Eilverfahren

Sozialgerichte und auch Verwaltungsgerichte entscheiden oftmals sehr langsam und Verfahren ziehen sich über mehrere Jahre. Da oftmals aber zeitnah eine Entscheidung benötigt wird, ist es möglich auch ein Eilverfahren vor Gericht einzuleiten. In solchen Eilfällen kann auch schon vor einer Entscheidung der Behörde im Antragsverfahren oder Widerspruchsverfahren das Sozialgericht (bzw. das Verwaltungsgericht) angerufen werden.

Voraussetzung dafür ist, dass der Eilbedarf dem Gericht glaubhaft gemacht wird. Das ist z.B. der Fall, wenn gesundheitliche Schäden eintreten würden, wenn der Abschluss des regulären Verfahrens abgewartet würde. Das Gericht trifft dann eine nur vorläufige Entscheidung, für die es die Vor- und Nachteile abwägt und den Fall nicht ganz genau prüft. Das bedeutet, dass das Gericht später doch noch anders entscheiden kann. So kann z.B. Betroffenen im Eilverfahren eine Leistung zunächst bewilligt werden, die dann später jedoch wieder erstattet werden muss.

9. Praxistipps

  • Sollte ein Sozialgericht Berufung oder Revision nicht zulassen, so kann dies durch eine Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden. Diese muss für eine Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht und für eine Revision beim Bundessozialgericht eingereicht werden.
  • Durch einen Überprüfungsantrag ist es in einigen Fällen möglich, gegen einen Bescheid vorzugehen, der bereits rechtskräftig geworden ist, weil die Widerspruchs- oder Klagefrist versäumt wurde oder weil eine Klage verloren wurde. Die Voraussetzungen sind, dass von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und/oder das Recht nicht richtig angewandt wurde. Wer einen Überprüfungsantrag stellt, muss genau bezeichnen, gegen welchen Bescheid er sich richtet, und angeben, was falsch daran ist. Anwaltliche Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen ist ratsam.

10. Wer hilft weiter?

  • SoVD – Sozialverband Deutschland e.V. und Sozialverband VdK Deutschland e.V., Kontakt unter Sozialverbände.
  • Rechtsanwälte mit sozialrechtlichem Tätigkeitsschwerpunkt und Fachanwälte für Sozialrecht.

11. Verwandte Links

Widerspruch Sozialrecht

Prozesskostenhilfe

Sozialgericht

 

Rechtsgrundlagen: Sozialgerichtsgesetz (SGG)

Letzte Bearbeitung: 22.08.2024

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