Das Bürgergeld ersetzt seit 1.1.2023 „Hartz IV“, also die Leistungen nach dem SGB II, Arbeitslosengeld II (ALG II) und Sozialgeld im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das System aus Eingliederungsvereinbarungen und teils verfassungswidrigen Sanktionen wurde ersetzt durch unverbindliche Kooperationspläne, aber auch verbindliche Aufforderungen und Leistungskürzungen um bis zu 30 % des Regelsatzes. Die Regelungen zu Kürzungen gelten seit 1.1.2023, die Kooperationspläne wurden bis Ende 2023 schrittweise eingeführt. Seit dem 28.03.2024 kann der Regelsatz während einer konkreten Arbeitsverweigerung komplett entfallen.
Hinweis:
Im Folgenden geht es um mögliche Kürzungen des Bürgergelds. Das Jobcenter kann das Bürgergeld aber auch wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung der Anspruchsvoraussetzungen komplett versagen, Näheres unter Fehlende Mitwirkung.
Fördern und Fordern ist das Prinzip des sog. aktivierenden Staats im Sozialrecht. Mit „Fordern“ ist gemeint, dass der Staat von hilfebedürftigen Menschen umfangreiche Aktivitäten verlangt, mit denen die Betroffenen sich selbst helfen sollen. „Fördern“ meint, dass der Staat die Menschen bei diesen Aktivitäten unterstützt.
Auch beim Bürgergeld gilt weiterhin das Prinzip „Fördern und Fordern“, aber mit anderen Regeln als bei „Hartz IV“.
Beim Bürgergeld sind maximale Leistungskürzungen um bis zu 30 % des sog. Regelsatzes (= Pauschale für den Lebensunterhalt) bei bestimmten Pflichtverletzungen möglich.
Folgende Pflichtverletzungen können zu diesen Kürzungen führen:
Kürzungen der Geldleistungen sind außerdem bei Terminversäumnissen möglich, dann aber pro verpasstem Termin nur in Höhe von 10 % des Regelsatzes.
Das Jobcenter darf nur dann die Leistungen kürzen, wenn es
Es reicht nicht, wenn das Jobcenter z.B. nur ein allgemeines Merkblatt zu möglichen Kürzungen ausgibt, sondern es muss ganz eindeutig klar machen, was genau zu welcher Leistungsminderung führt.
Anders als bei den Eingliederungsvereinbarungen vor dem 1.7.2023 drohen die neuen Kooperationspläne, die in der Zeit vom 1.7.23 bis zum 31.12.2023 eingeführt wurden, selbst keine Kürzungen an. Sie sind rechtlich unverbindlich.
Verbindlich sind aber die Aufforderungen des Jobcenters, in der Kooperationsvereinbarung notierte Pflichten einzuhalten und das nachzuweisen. Diese Aufforderungen sind sog. Verwaltungsakte. Ein Verwaltungsakt ist eine verbindliche behördliche Regelung für einen ganz konkreten Einzelfall, z.B. die Verpflichtung zu einer Bildungsmaßnahme oder sich auf eine bestimmte Stellenausschreibung zu bewerben.
Die ursprünglich geplante 6-monatige Vertrauenszeit, in der erst bei mindestens 2 verpassten Terminen Leistungskürzungen möglich gewesen wären, wurde als zu starke Einschränkung des Prinzips "Fördern und Fordern" kritisiert und fand darum keine Zustimmung im Bundesrat. Sie wurde folglich nicht eingeführt, auch wenn umstritten ist, ob die Vertrauenszeit wirklich eine Abkehr vom Prinzip "Fördern und Fordern" bedeutet hätte.
Seit dem 28.03.2024 entfällt unter Umständen der gesamte Anspruch auf den Regelsatz während einer Arbeitsverweigerung:
Wenn das Annehmen der Arbeit nicht tatsächlich die Existenz sichern könnte, weil sie dafür zu schlecht bezahlt ist, kann es bei Anwendung dieser Regeln zu verfassungswidrigen Situationen kommen. Näheres unter Fehlende Mitwirkung.
Im Zuge der Hartz-IV-Reformen wurde 2004–2005 das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit dem Arbeitslosengeld II und Sozialgeld (Leistungen nach dem SGB II) eingeführt und seit 1.1.2023 durch das Bürgergeld ersetzt. Die Leistungen wurden vor Einführung des Bürgergelds umgangssprachlich „Hartz-IV“ genannt. Näheres unter Hartz IV und Sozialhilfe.
Fördern und Fordern wurde bei „Hartz IV“ durch die sog. Eingliederungsvereinbarung umgesetzt, die es seit 1.1.2024 nur noch beim Arbeitslosengeld gibt, nicht mehr beim Bürgergeld. Eine Eingliederungsvereinbarung ist ein sog. öffentlich-rechtlicher Vertrag, in dem Pflichten der hilfebedürftigen Menschen rechtsverbindlich festgelegt werden und Sanktionen (= Kürzungen der Leistungen zum Lebensunterhalt) bei Pflichtverletzungen angedroht werden. Gleichzeitig soll dort geregelt werden, wie der Staat bei der Arbeitssuche unterstützt, z.B. durch Beratung, Maßnahmen wie z.B. ein Bewerbungstraining oder einen Fahrtkostenzuschuss für die Fahrt zu einem Bewerbungsgespräch.
Früher wurde manchen Menschen im Rahmen der Sanktionen sogar das gesamte ALG II gestrichen. Ihnen fehlten also alle Leistungen zur Deckung des Existenzminimums inklusive der Kosten für Unterkunft und Heizung. Das kam selten vor und galt insbesondere für junge Menschen unter 25, da es für diese Personengruppe besonders strenge Regeln gab.
Es gab viele Rechtsstreitigkeiten um Eingliederungsvereinbarungen und Sanktionen, weshalb die Eingliederungsvereinbarungen immer komplizierter und unverständlicher formuliert wurden. Die umstrittenen Sanktionen wurden schließlich vom Bundesverfassungsgericht für teilweise verfassungswidrig erklärt und wie folgt begrenzt:
Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist insbesondere, dass der Nutzen der Sanktionen in der früheren Form nicht nachgewiesen werden konnte. Das wäre aber erforderlich gewesen, um die massiven Kürzungen der Leistungen für das Existenzminimum zu rechtfertigen.
Inzwischen gibt es eine Studie, die belegt, dass Sanktionen oft eher schädlich als nützlich waren: Der Verein Sanktionsfrei e.V. hat sie beim Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung beauftragt und stellt die Ergebnisse zum Download bereit unter www.sanktionsfrei.de > Studie.
Bis 31.12.2022 waren Sanktionen vorübergehend nur bei verpassten Terminen und nur in Höhe von 10 % möglich, quasi als Übergangsregelung bis zur Einführung des Bürgergelds.
Mit Einführung des Bürgergelds ist das Sanktionsmoratorium ausgelaufen. Leistungskürzungen sind seitdem in Höhe von bis zu 30 % möglich, also in dem Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht erlaubt. Dass der Anspruch auf den Regelsatz bei Arbeitsverweigerung komplett entfallen kann, wurde erst später wieder eingeführt, siehe oben unter "Kein Regelsatz bei Arbeitsverweigerung".
Der Kooperationsplan dient als Ersatz für die Eingliederungsvereinbarung bei „Hartz IV“. Die früheren Sanktionen heißen seit 1.1.2023 Leistungsminderungen. Die erheblich strengeren Sanktionsregeln für junge Menschen vor dem 25. Geburtstag wurden ersatzlos abgeschafft. Grundlage der heutigen Leistungsminderungen sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dazu, unter welchen Voraussetzungen Sanktionen zulässig sind.
Das Verfahren zur Eingliederung in (besser bezahlte) Arbeit läuft wie folgt ab:
Die bisherigen Eingliederungsvereinbarungen wurden bis Ende 2023 schrittweise ersetzt durch sog. Kooperationspläne.
Gegen die verbindlichen Aufforderungen des Jobcenters ist ein kostenfreier Widerspruch möglich. Wenn er abgelehnt wird, kann eine ebenfalls kostenfreie Klage dagegen beim Sozialgericht eingereicht werden. Ein Widerspruch und ggf. eine Klage haben z.B. in folgenden Fällen Aussicht auf Erfolg:
Ggf. ist ein gerichtliches Eilverfahren sinnvoll, weil Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben. Widerspruch und Klage können ohne anwaltliche Hilfe durchgeführt werden. Es ist aber meist aus Gründen der "Waffengleichheit" sinnvoll, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen, weil die Jobcenter durch juristische Fachkräfte ihrer Rechtsabteilung vertreten werden. Können Bürgergeldbeziehende sich die Anwaltskosten nicht leisten, können die Beratungshilfe bzw. Prozesskostenhilfe weiterhelfen.
Fallbeispiel: Das Jobcenter will Herrn Bauer zu einer Psychotherapie verpflichten, da es der Ansicht ist, dass diese Herrn Bauers Jobaussichten verbessern würde. Eine solche Verpflichtung wäre rechtswidrig. Es ist unwahrscheinlich, dass eine erzwungene Psychotherapie helfen würde und auch Menschen, die Bürgergeld benötigen, haben das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Psychotherapie machen wollen oder nicht. Eine Zwangsbehandlung, um leistungsfähiger zu werden, ist ihnen nicht zumutbar.
Die Jobcenter erläutern die neuen Regelungen.
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Bürgergeld > Einkommen und Vermögen
Rechtsgrundlagen: § 15, 15a, 31ff SGB II