Viele Menschen haben Angst, dass ihre Angehörigen unterhaltspflichtig werden könnten, wenn sie staatliche Leistungen wie z.B. Bürgergeld oder Leistungen der Sozialhilfe wie z.B. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Hilfe zur Pflege beantragen. Diese Angst ist nicht immer berechtigt: Das Sozialamt darf z.B. Unterhalt für bedürftige volljährige Kinder erst ab einem Jahreseinkommen von über 100.000 € von deren Eltern einfordern. Auch Kinder dürfen vom Sozialamt nur für den Unterhalt für ihre Eltern in Anspruch genommen werden, wenn sie jeweils ein Jahreseinkommen von über 100.000 € haben.
Viele Menschen haben Angst, dass ihre Angehörigen unterhaltspflichtig werden könnten, wenn sie staatliche Leistungen beantragen, wie z.B.:
Weil die Betroffenen das nicht wollen, verzichten sie manchmal so lange es irgendwie geht auf einen Antrag und schränken sich finanziell sehr stark ein. Viele arbeiten, obwohl es sie gesundheitlich überfordert oder verzichten auf wichtige Hilfen, die Ihnen ein besseres Leben ermöglichen könnten.
Angehörige werden nicht erst durch einen Antrag auf eine staatliche Sozialleistung unterhaltspflichtig, sondern per Gesetz ganz automatisch, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, wenn z.B. ein Angehöriger seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst finanzieren kann. Unterhaltspflichtig können z.B. Eltern für ihre Kinder, Kinder für ihre Eltern oder Ehegatten für einander sein. Näheres unter Unterhalt > Überblick.
Unterhaltspflicht bedeutet auch nur, dass die andere Person Leistungen zum Lebensunterhalt einfordern bzw. einklagen kann. Verzichtet diese Person darauf, muss die unterhaltspflichtige Person trotz Unterhaltspflicht nicht zahlen.
Dass viele trotzdem glauben, dass eine Unterhaltspflicht durch einen Antrag auf Sozialleistungen entstehen kann, liegt an Folgendem:
Viele Menschen wollen ihre Angehörigen nicht belasten und fordern daher von ihnen keinen Unterhalt, obwohl sie ein Recht darauf hätten.
Wenn sie nun aber Sozialleistungen (z.B. Hilfe zur Pflege oder Grundsicherung im Alter) beantragen, gehen die Unterhaltsansprüche in manchen Fällen automatisch auf das Amt über. Das bedeutet: Der Unterhaltsanspruch gehört nicht mehr dem Angehörigen, sondern er gehört jetzt dem Amt. Der Angehörige kann dann auf seinen Anspruch nicht mehr verzichten, weil er ihm ja nicht mehr gehört.
Das Amt schreibt nun den Angehörigen an und fordert die gezahlten Sozialleistungen in Höhe des Unterhaltsanspruchs zurück. Das nennt man Unterhaltsrückgriff oder auch Unterhaltsregress, weil das Amt auf den Unterhaltsanspruch zurückgreift.
Für die unterhaltspflichtige Person wirkt es so, als sei sie erst durch den Sozialleistungsanspruch unterhaltspflichtig geworden.
In vielen Fällen ist es möglich, Sozialleistungen zu beziehen, ohne dass die Angehörigen vom Amt für Zahlungen in Anspruch genommen werden.
Ob die unterhaltsberechtigte Person den Unterhalt dann einfordert oder nicht, bleibt in diesen Fällen ihre eigene Entscheidung. Sie kann auch darauf verzichten und stattdessen von den Sozialleistungen leben. Die Unterhaltspflichtigen müssen in diesen Fällen zwar weiterhin damit rechnen, dass ihre Angehörigen irgendwann doch den Unterhalt von ihnen einklagen, sind aber vor staatlichen Unterhaltsforderungen sicher.
In anderen Fällen findet ein Unterhaltsrückgriff statt. Es folgen Beispiele mit und ohne Unterhaltsrückgriff.
Die Eingliederungshilfe für volljährige Menschen mit Behinderungen ist unabhängig vom Einkommen und Vermögen ihrer Eltern, ihrer Kinder und ihrer Partner, egal ob verheiratet oder nicht.
Bei der Berechnung der Beiträge zu den Leistungen der Eingliederungshilfe wird das einkommenssteuerrechtliche Einkommen des Menschen mit Behinderung berücksichtigt, aber erhaltener Unterhalt oder nicht geltend gemachte Unterhaltsansprüche bleiben unberücksichtigt. Näheres unter Eingliederungshilfe > Einkommen und Vermögen.
Bei der Eingliederungshilfe vom Jugendamt für junge Volljährige ist das allerdings anders: Dort müssen die Eltern ggf. Kostenbeiträge leisten, Näheres unter Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen.
Unterhalt wird nur auf die Sozialhilfe angerechnet, wenn er tatsächlich gezahlt wird. Wird er nicht gezahlt, leistet das Sozialamt die Sozialhilfe, kann sich das Geld aber in manchen Fällen in Höhe des Unterhaltsanspruchs von den Unterhaltsverpflichteten zurückholen, Näheres unter Unterhalt > Überblick.
Auf Unterhalt von Verwandten können volljährige Bedürftige in vielen Fällen verzichten und stattdessen Sozialhilfe beziehen, ohne dass sich das Sozialamt etwas zurückholen kann:
Gibt es mehrere unterhaltspflichtige Verwandte, aber nicht alle haben ein Bruttoeinkommen über 100.000 € im Jahr, müssen die mit dem hohen Einkommen nicht den gesamten Unterhalt übernehmen. Von den Unterhaltspflichtigen, die unter 100.000 € verdienen, kann das Sozialamt zwar kein Geld verlangen, aber es muss trotzdem deren Anteile bei der Berechnung berücksichtigen. Die Anteile werden nicht pro Kopf berechnet, sondern nach den jeweiligen Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.
Hinweis: Das Jahreseinkommen sind die steuerlichen Gesamtbruttoeinnahmen, also nicht nur das Arbeitseinkommen, sondern z.B. auch Zins- und Mieteinnahmen.
Unterhaltsansprüche gegen andere Personen, also z.B. gegen den (ehemaligen) Ehepartner, den Lebenspartner oder den Vater eines unehelichen Kindes (Näheres unter Unterhalt > Überblick) macht das Sozialamt gegen diese Personen geltend, sofern diese noch nicht zahlen, und holt sich die gezahlte Sozialhilfe in Höhe der Unterhaltspflicht von ihnen zurück (= Unterhaltsrückgriff oder Unterhaltsregress). Die Grenze von 100.000 € gilt hier nicht.
Beispiel: Wenn der pflegebedürftige Ehe-/Lebenspartner ins Pflegeheim kommt, während der andere zu Hause wohnen bleibt, muss sich der zu Hause verbleibende Ehe-/Lebenspartner an den Heimkosten beteiligen.
Wenn ein Kind oder Elternteil ein Jahreseinkommen über 100.000 € hat, macht das Sozialamt nicht automatisch Unterhaltsansprüche geltend. Denn gesetzlich wird erst einmal vermutet, dass das Einkommen höchstens 100.000 € beträgt.
Nur wenn das Sozialamt schon Anhaltspunkte dafür hat, dass die unterhaltspflichtige Person ein hohes Einkommen haben könnte, darf es von der unterhaltspflichtigen Person Auskünfte zu ihrem Einkommen fordern. Ein Anhaltspunkt für ein hohes Einkommen ist z.B., wenn das Sozialamt weiß, dass die Person einen Beruf ausübt, der üblicherweise gut bezahlt ist. Beispiele:
Um solche Anhaltspunkte bekommen zu können, fragt das Sozialamt schon in den Antragsformularen ab, ob es unterhaltspflichtige Verwandte gibt. Meist muss dort deren Beruf angegeben werden und es wird direkt gefragt, ob sie Einkommen oberhalb 100.000 € haben. Das Sozialamt kann z.B. auch im Internet dazu recherchieren.
Praxistipps
Bei der Sozialhilfe wird oft auch das Einkommen und Vermögen von Menschen angerechnet, die nicht unterhaltspflichtig sind, oder von denen das Sozialamt keinen Unterhalt einfordern darf (z.B. weil sie weniger als 100.000 € pro Jahr verdienen), weil das Amt davon ausgehen darf, dass diese Menschen die bedürftige Person freiwillig unterstützen. Näheres unter Haushaltsgemeinschaft.
Auf das Bürgergeld wird Unterhalt nur angerechnet, wenn er tatsächlich gezahlt wird. Wird er nicht gezahlt, leistet das Jobcenter das Bürgergeld, kann sich das Geld aber in manchen Fällen in Höhe des Unterhaltsanspruchs von den Unterhaltsverpflichteten (Näheres unter Unterhalt > Überblick) zurückholen.
Auf Unterhalt von Verwandten können volljährige Bedürftige allerdings verzichten und stattdessen Bürgergeld beziehen. Das Jobcenter darf dann von den Verwandten in der Regel nichts zurückfordern.
Es gibt aber eine Ausnahme: Bekommt ein Kind vor dem 25. Geburtstag, das weder eine Berufsausbildung noch ein Studium abgeschlossen hat, Bürgergeld, hat das Jobcenter Anspruch darauf, die Unterhaltsansprüche gegen dessen Eltern geltend zu machen, auch wenn das Kind selbst auf den Unterhalt verzichtet.
Ausnahme von der Ausnahme: Schwangere und Eltern, die ihr leibliches Kind bis zum 6. Geburtstag betreuen, können trotzdem Bürgergeld beziehen, ohne dass die Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern berücksichtigt werden. So soll verhindert werden, dass Menschen auf ein Kind verzichten, um ihre Eltern nicht zu belasten.
Unterhaltsansprüche gegen andere Personen, also gegen den (ehemaligen) Ehepartner, den Lebenspartner, den Vater eines unehelichen Kindes oder den anderen Elternteil macht das Jobcenter gegen diese Personen geltend, wenn sie noch nicht zahlen, und holt sich somit das gezahlte Bürgergeld in Höhe der Unterhaltspflicht von ihnen zurück (= Unterhaltsrückgriff oder Unterhaltsregress).
Beim Bürgergeld wird oft auch das Einkommen und Vermögen von Menschen angerechnet, die nicht unterhaltspflichtig sind, oder von denen das Jobcenter keinen Unterhalt einfordern darf (z.B. weil die volljährige Person auf den Verwandtenunterhalt verzichtet hat), weil das Amt davon ausgehen darf, dass diese Menschen die bedürftige Person freiwillig unterstützen. Näheres unter Bedarfsgemeinschaft und Haushaltsgemeinschaft.
Rechtsgrundlagen: § 33 SGB II – §§ 93, 94 SGB XII