Bedarfsgemeinschaft

1. Das Wichtigste in Kürze

Die Jobcenter nehmen unter bestimmten Voraussetzungen an, dass zusammenlebende Menschen eine Bedarfsgemeinschaft sind. Beantragt ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft Bürgergeld (eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende), wird in der Regel das Einkommen und Vermögen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angerechnet und diese bekommen automatisch geringere Leistungen als Alleinstehende.

2. Definition

Zu einer sog. Bedarfsgemeinschaft gehören:

  • erwerbsfähige Hilfebedürftige
  • im Haushalt lebende Eltern
    oder
    der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes unter 25 Jahren und der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils
  • Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, das sind:
    • der Ehegatte, außer das Paar hat sich dauerhaft getrennt, egal ob geschieden oder nicht
    • der eingetragene Lebenspartner, außer das Paar hat sich dauerhaft getrennt, egal ob die Lebenspartnerschaft aufgelöst wurde oder nicht
    • die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als Partner in einem gemeinsamen Haushalt in einer sog. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft lebt
  • dem Haushalt angehörende unverheiratete Kinder unter 25 Jahren des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder seines Partners, wenn sie nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beschaffen können

3. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft

Eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft meint, dass ein wechselseitiger Wille angenommen wird, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, auch wenn keine Unterhaltspflicht besteht.

Sozialleistungen nach dem SGB II sollen nicht einer Person gezahlt werden, die diese eigentlich nicht benötigt, weil sie mit einem Menschen zusammenlebt, der sie freiwillig finanziell unterstützt.

Gesetzlich geregelt ist, dass eine solche Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft immer dann vermutet wird, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Partnerschaft von 2 Personen
    und
  • Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt
    und
  • eine der folgenden Voraussetzungen:
    • Zusammenleben seit über einem Jahr
    • Zusammenleben mit einem gemeinsamen Kind
    • Versorgung von Kindern oder Angehörigen im Haushalt
    • Befugnis über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, geht das Jobcenter automatisch von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft aus, außer die Bürgergeldberechtigten beweisen besondere Umstände und entkräften dadurch die Vermutung.

In der Praxis kommt es dazu bisweilen zu Streit mit dem Jobcenter:

Die Jobcenter nehmen z.B. bei reinen Wohngemeinschaften oft fälschlicherweise eine Partnerschaft an. Oder Partner wohnen schon lange zusammen, die Partnerschaft besteht aber erst seit weniger als einem Jahr, was das Jobcenter aber nicht glaubt.

In solchen Fällen ist es möglich, sich mit Erfolg dagegen zu wehren. Informationen zu den rechtlichen Möglichkeiten, gegen falsche Behördenentscheidungen vorzugehen, gibt es unter Widerspruch im Sozialrecht und Widerspruch Klage Berufung.

4. Abgrenzung Wohngemeinschaft, Haushaltsgemeinschaft, Bedarfsgemeinschaft

4.1. Reine Wohngemeinschaft

Eine reine Wohngemeinschaft (WG) liegt vor, wenn getrennte Haushalte innerhalb einer Wohnung geführt werden. Nur eine WG liegt auch vor, wenn z.B.:

  • Bad und Küche und ggf. weitere Gemeinschaftsräume gemeinsam genutzt werden.
  • Grundnahrungsmittel, Reinigungs- und Sanitärartikel aus einer Gemeinschaftskasse gekauft werden, in die alle gleich viel einzahlen.
  • Die Reinigung anhand von Putzplänen erfolgt, bei denen sich die Mitbewohner abwechseln.

4.2. Haushaltsgemeinschaft

Eine Haushaltsgemeinschaft bzw. ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt liegt erst vor bei:

  • Zusammenleben
    und
  • Wirtschaften aus einem Topf (Mitbewohner bringen sich ihren finanziellen Möglichkeiten und ihren Fähigkeiten entsprechend ein und nehmen, was sie brauchen.)

Es gibt auch Rechtsprechung, die annimmt, dass eine Haushaltsgemeinschaft auch in mehreren Wohnungen gegeben sein kann, also auch dann, wenn die Personen jeweils ihre eigene Wohnung haben, aber dennoch zusammenleben. Näheres unter Haushaltsgemeinschaft.

4.3. Partnerschaft

Eine Partnerschaft definieren das Bundessozialgerichts und das Bundesverfassungsgerichts so:

  • Eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung ist gegeben, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt.
  • Für Partner muss es rechtlich möglich sein, einander zu heiraten, oder eine eingetragene Partnerschaft einzugehen.

Allerdings gibt es auch Rechtsprechung, die selbst dann eine Partnerschaft annimmt, wenn einer der Partner oder sogar beide Partner anderweitig verheiratet sind, einander also derzeit nicht heiraten können, weil eine Doppelehe in Deutschland nicht erlaubt ist.

4.4. Bedarfsgemeinschaft

Eine Bedarfsgemeinschaft liegt nur dann vor, wenn sowohl eine Partnerschaft als auch eine Haushaltsgemeinschaft und eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft vorliegt.

5. Folgen

5.1. Geringerer Regelsatz

In einer Bedarfsgemeinschaft erhalten die Mitglieder geringere Regelsätze als Alleinstehende. Grund dafür ist, dass beim Zusammenleben in der Regel weniger Geld ausgegeben werden muss, weil z.B. viele Gegenstände gemeinsam genutzt werden können.

5.2. Quasi-Unterhaltspflicht oder Zerbrechen von Beziehungen

Unverheiratete Partner sind einander nicht unterhaltspflichtig. Viele heiraten bewusst nicht, weil sie finanziell vom Partner unabhängig leben wollen und gerade nicht wirtschaftlich füreinander einstehen wollen. Weil sie nicht füreinander einstehen wollen und auch nicht füreinander einstehen, sind sie keine Bedarfsgemeinschaft.

Trotzdem kann es aber sein, dass sie die Voraussetzungen erfüllen, unter denen eine Bedarfsgemeinschaft vermutet wird, und es nicht gelingt, diese Vermutung zu entkräften. Ist ein Partner hilfebedürftig und hat der andere Einkommen und/oder Vermögen, so wird dieses Geld im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft bei den Sozialleistungen angerechnet. Dem hilfebedürftigen Partner werden daraufhin die Leistungen gekürzt oder sogar ganz gestrichen.

Die Folge ist, dass der leistungsfähige Partner dann ohne Unterhaltspflicht ungewollt den hilfebedürftigen Partner finanziell unterstützen muss, wenn er will, dass dieser seinen Lebensunterhalt weiterhin sichern kann. Daran können Beziehungen zerbrechen, denn der leistungsfähige Partner steht ungewollt vor der Entscheidung: Partnerschaft mit finanzieller Unterstützung des hilfebedürftigen Partners oder keine Beziehung?

Vielen längerfristig hilfebedürftigen Menschen gelingt es deshalb auch nicht, eine stabile Partnerschaft einzugehen, da potentielle Partner die finanzielle Unterstützung nicht leisten wollen.

Hintergrund der Regelung ist, dass der Gesetzgeber verhindern wollte, dass Sozialleistungen nur deshalb gezahlt werden müssen, weil Partner keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollen, obwohl der leistungsfähige Partner tatsächlich den hilfebedürftigen Partner unterstützt und dieser eigentlich keine staatliche Hilfe mehr braucht.

5.3. Horizontale Einkommensanrechnung

Horizontale Einkommensberechnung bedeutet, dass das Einkommen verteilt auf die ganze Bedarfsgemeinschaft angerechnet wird.

Fallbeispiel:

  • Frau Ylmaz und Herr Müller leben zu zweit in einer Bedarfsgemeinschaft.
  • Frau Ylmaz ist sozialversicherungspflichtig in Teilzeit beschäftigt, aber verdient nur wenig.
  • Herr Müller hat nur einen kleinen Minijob.
  • Würde Frau Ylmaz allein leben, so wäre sie nicht auf Sozialleistungen angewiesen, weil sie sich durch ihre Arbeit selbst unterhalten kann. Ihr Geld reicht aber nicht aus, zusätzlich für den gesamten ungedeckten Lebensunterhalt von Herrn Müller mit aufzukommen.
  • Wenn nun Herr Müller Bürgergeld beantragt, werden sein Einkommen und das von Frau Ylmaz addiert, auf beide aufgeteilt und der ganzen Bedarfsgemeinschaft angerechnet (horizontale Einkommensanrechnung).
  • Am Ende bekommen sowohl Frau Ylmaz als auch Herr Müller jeweils die Hälfte des für die ganze Bedarfsgemeinschaft berechneten Leistungsanspruchs.
  • Frau Ylmaz wird also zur Sozialleistungsempfängerin, nur weil sie mit Herrn Müller zusammenlebt. Sie muss nun z.B. auch zu Terminen ins Jobcenter kommen, sich um eine besser bezahlte Arbeit kümmern (Näheres unter Bürgergeld > Kooperationsplan und Leistungsminderungen) und sie darf z.B. in vielen Fällen nur nach vorheriger Genehmigung durch das Jobcenter verreisen, um ihren Leistungsanspruch zu erhalten. Näheres unter Bürgergeld > Erreichbarkeit. All das trifft sie, obwohl sie eigentlich für sich selbst sorgen kann.

Für dem Haushalt angehörende unverheiratete Kinder unter 25 Jahren, gilt eine Besonderheit:

Ihr Einkommen und Vermögen wird nur auf ihren eigenen Bedarf angerechnet. Reicht es aus, um diesen Bedarf zu decken, gehören sie automatisch nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft. Ihr Einkommen und Vermögen kann dann nur noch im Rahmen der Regeln zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen in einer Haushaltsgemeinschaft unter Verwandten und Verschwägerten angerechnet werden. Näheres unter Haushaltsgemeinschaft.

Fallbeispiel:

  • Hannah lebt mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Familie bezieht Bürgergeld, weil alle drei wenig verdienen.
  • Hannah kann nun in ihrem Teilzeitjob die Stunden aufstocken, so dass sie bald genug verdienen wird, um ihren eigenen Bedarf vollständig decken zu können. Sie wird sogar noch ein wenig sparen können.
  • Sobald Hannah das höhere Gehalt bekommt, fällt sie aus der Bedarfsgemeinschaft heraus.
  • Für sie wird dann kein Bürgergeld gezahlt.
  • Ihr Einkommen und Vermögen wird dann nicht auf die Leistungen der Eltern angerechnet, weil es bei den Regeln der Haushaltsgemeinschaft für Hannah so hohe Freibeträge gibt, dass sie alles behalten darf.
  • Weil Hannah dann nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehört, muss sie künftig nicht mehr zu Terminen ins Jobcenter kommen und kann verreisen, wann sie will, ohne Zustimmung des Jobcenters.

6. Verwandte Links

Grundsicherung für Arbeitsuchende

Bürgergeld

Regelsätze

Haushaltsgemeinschaft

 

Rechtsgrundlagen: § 7 Abs. 3 SGB II

Letzte Bearbeitung: 17.12.2024

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