Tinnitus > Behandlung

1. Das Wichtigste in Kürze

Im Akutfall wird Tinnitus wie ein Hörsturz behandelt mit dem Ziel, dass die Symptome abklingen. Bei chronischem Tinnitus geht es darum, den Umgang mit den Geräuschen zu lernen und die Lebensqualität zu verbessern – was in vielen Fällen auch gelingt. Zahlreiche beworbene Heilmittel und Heilmethoden sollten Betroffene kritisch begutachten, bevor sie Geld dafür ausgeben.

2. Akuter Tinnitus und Hörsturz

Von einem akuten Tinnitus spricht man in den ersten 3 Monaten. Ziel ist hier, das Ohrgeräusch zum Verschwinden zu bringen. Wichtig ist, den akuten Tinnitus möglichst schnell zu behandeln, um eine dauerhafte Schädigung zu vermeiden. Je früher behandelt wird, desto besser die Heilungschancen. Behandelt wird nach den Leitlinien für die Hörsturz-Behandlung, Download unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/017-010.html.

Allerdings betonen auch die medizinischen Leitlinien, dass man bei der Tinnitus-Therapie immer noch zu wenige sichere Aussagen treffen kann. Empfohlen werden nach derzeitigem Kenntnisstand hochdosierte Glukokortikoide, z.B. Kortison. Sie werden systemisch eingesetzt, also entweder eingenommen oder als Infusion gegeben. Alternative ist eine Injektion ins Ohr, das reduziert das Risiko von Nebenwirkungen. Wenn schon vor dem Tinnitus/Hörsturz Krankheiten vorliegen, die den Tinnitus verstärken können, z.B. Depressionen oder Schwerhörigkeit, muss unbedingt auch deren Therapie mit betrachtet werden.

Auch in der akuten Phase kann bereits Counseling angebracht sein, siehe unten.

Infusionen mit Blutverdünnern (Rheologika) werden von Fachmedizinern nicht mehr eingesetzt, weil es keinen Nachweis für ihre Wirksamkeit gibt, aber Nebenwirkungen bekannt sind. Auch die Wirksamkeit von antiviralen Behandlungen und Sauerstoffdruckbehandlungen sind nicht nachgewiesen.

Stationär, also im Krankenhaus, werden ein Hörsturz oder ein akuter Tinnitus nur noch in der Minderheit der Fälle behandelt. Gründe für eine stationäre Behandlung sind z.B.:

  • starker Hörverlust,
  • fortschreitender Hörverlust,
  • gleichzeitiges Vorliegen einer schweren Begleiterkrankung oder
  • besonderes berufliches Betroffensein.

Vor jeder Behandlung sollten andere Ursachen, wie z.B. Ohrenschmalzpfröpfe oder Veränderungen des Mittelohres, ausgeschlossen werden.
Wenn die organische Ursache des Tinnitus bekannt ist (selten), wird versucht, diese Ursache zu beseitigen. Da die Behandlung aber schnellstmöglich einsetzen sollte, beginnt der Arzt oft mit einer Therapie und führt parallel dazu noch Untersuchungen durch.

3. Chronischer Tinnitus: Basistherapie

Nach 3 Monaten gelten Ohrgeräusche als "chronisch". Dann wird die Therapie darauf ausgerichtet, dass der Patient sich daran gewöhnt (Habituierung) und sich seine Lebensqualität erhöht. Bei der Mehrheit der Betroffenen gelingt diese Besserung, im besten Fall "vergisst" der Patient die Geräusche. Am Anfang einer erfolgversprechenden Therapie steht immer die ganzheitliche Aufklärung und Beratung (Counseling), dann können weitere Behandlungsansätze erprobt werden.

3.1. Ganzheitliche Beratung (Counseling)

Tinnituscounseling setzt ganzheitlich an, das heißt: Weg vom Symptom, hin zur Gesamtsituation des Betroffenen und zu einem informierten Umgang mit dem Ohrgeräusch. Deshalb beginnt Counseling in der Regel auch mit einer Schilderung des Patienten zu seinen Symptomen, Krankheitsvorstellungen und Belastungen. Angesprochen werden die Situationen, in denen der Tinnitus besonders belastet und in denen er als erträglich erlebt wird sowie mögliche Begleiterkrankungen (sog. Komorbiditäten).

Vorrangiges Ziel des Counseling ist die Gewöhnung an den Tinnitus, nicht die Beendigung. Dies gelingt auch in vielen Fällen, zum Teil auch noch nach Jahren. Dem Patienten wird Fachwissen vermittelt, damit er die Erkrankung besser versteht und sich nicht mit falschen oder bedrohlichen Vorstellungen zusätzlichem Stress aussetzt. Anschließend geht es um die individuelle Tinnitus-Bewältigung. Dabei werden die medizinischen Befunde und die Alltagserfahrungen des Patienten einbezogen.

Häufig führt eine "Schallanreicherung" zu einer Besserung. Tinnitus-Betroffene meiden dabei Stille und suchen "angenehmen" Schall. Beispiele:

  • Das Fenster öffnen: Alltagsgeräusche hereinlassen, aber nur, wenn diese als angenehm empfunden werden.
  • In die Natur gehen: Wasserrauschen oder -plätschern, Wind, Wellen, Bäumerauschen, Blätterrascheln.
  • Geräte und Motoren: Ventilator, Tischbrunnen, Dunstabzug.
  • Es gibt auch CDs und Apps, die ein Hintergrundrauschen produzieren, z.B. Wald, Bach, Strand, Wind.

Schallanreicherung heißt nicht, dass das Tinnitusgeräusch übertönt wird, sondern dass ein angenehmes Geräusch ablenkt und den Tinnitus vergessen macht. Zudem sollten Betroffene Situationen meiden, die den Tinnitus verstärken.

Tinnitus-Counseling ist anspruchsvoll und sollte nur von Ärzten und Psychotherapeuten durchgeführt werden, die ausgewiesene Tinnitusspezialisten sind. Zum Counseling gehört auch die Kenntnis über und Beratung zu alternativen Therapien und neuesten Forschungserkenntnissen.

3.2. Hörtherapie

Wenn der Tinnitus mit Schwerhörigkeit (auch einseitiger) einhergeht, muss dies untersucht und ggf. therapiert werden (Hörgerät). Bei starker Schwerhörigkeit oder gar Ertaubung sind Cochlea Implantate eine wirksame Behandlung. Hierdurch können neben dem Ausgleich des Hörverlustes auch eine gute Tinnitushabituation erreicht werden.

Vorhandene Hörgeräte müssen überprüft werden. Häufig hilft eine sehr sensible Einstellung des Hörgeräts, weil die Vielzahl der über das Hörgerät aufgenommenen Geräusche vom Tinnitus ablenkt. Näheres zu Kosten unter Hörhilfen.

Der Deutsche Schwerhörigenbund bietet nach vorherigem Kontakt per Mail eine Hörberatung an, um weitere Therapiemöglichkeiten zu besprechen. Näheres unter www.schwerhoerigen-netz.de > Beratung > Hörberatung.

3.3. Orthopädische Therapien

Wenn der Tinnitus auf Veränderungen der Halswirbelsäule reagiert, sollte sie untersucht und entsprechend therapiert werden, z.B. mit Physiotherapie, Osteopathie oder muskulärem Feedback.

Wenn das Kauen oder andere Kieferbewegungen den Tinnitus beeinflussen, sollte dies untersucht und ggf. vom Kieferorthopäden therapiert werden.

3.4. Medikamente

Entgegen vielen Hoffnungen gibt es bis heute keinen Nachweis, dass ein Medikament oder Nahrungsergänzungsmittel chronische Ohrgeräusche reduziert. Auch für Ginkgo Biloba, für Betahistin oder eine Kortisonbehandlung ist bei chronischem Tinnitus keine Wirksamkeit nachgewiesen.

Helfen können Medikamente nur dann, wenn sie Zusatzerkrankungen beeinflussen, z.B. Antidepressiva bei Depression.

4. Tinnitusspezifische Therapie

4.1. Tinnitusspezifische Habituation (Gewöhnung)

Die Habituation geht wie die Tinnitus-Retraining-Therapie (siehe unten) davon aus, dass die Geräusch-Fehlmeldungen gelernt sind und es also auch möglich ist, diesen Lernprozess wieder rückgängig zu machen, so dass die Betroffenen die Geräusche weniger wahrnehmen: Mit Hilfe von kognitiver Therapie wird gelernt, das Geräusch weniger wichtig zu nehmen. Diese "kognitive Desensibilisierung" kann die Geräusche erträglicher machen oder zum völligen Ignorieren führen. Ein anerkanntes Verfahren ist hier die tinnitusspezifische, kognitive verhaltensmedizinische Therapie (KVT), die auch in Studien eine hohe Wirksamkeit nachweisen konnte.

4.2. Tinnitus-Retraining-Therapie

Mittlerweile recht bekannt ist die Tinnitus-Retraining-Therapie. TRT wird von einem Therapeutenteam durchgeführt: HNO-Arzt, Psychotherapeut und Hörgeräteakustiker. Die Therapie hat folgende Bausteine:

  • Intensive Beratung, Information und Aufklärung des Patienten (Counseling, siehe oben).
  • Verhaltenstherapie, um den Umgang mit den Geräuschen zu erlernen, ggf. zusätzlich Erlernen von Entspannung (siehe unten) oder geeigneten Sportarten.
  • Die Wirksamkeit eines "Maskers zur Teilmaskierung des Tinnitus", so die offizielle Benennung von Rauschgeneratoren oder Tinnitus-Noisern, die Stille verhindern und die betroffene Person von der Wahrnehmung des Tinnitus ablenken sollen, ist nach aktueller wissenschaftlicher Datenlage nicht nachgewiesen.

TRT ist in der Regel keine Kassenleistung, allerdings gelten der Masker als Hilfsmittel und die Verhaltenstherapie als Psychotherapie und werden von der Krankenkasse übernommen werden. Dies sollte vor Beginn der Therapie mit der Krankenkasse geklärt werden.

4.3. Entspannung

Bei vielen Tinnituspatienten verstärken sich die Ohrgeräusche bei Lärm und/oder Stress. Dann ist es sinnvoll, Entspannungsverfahren oder Körpertherapien wie z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Tai Chi, Yoga oder Feldenkrais zu erlernen, um den Stress zu reduzieren.

Schlaf- und Konzentrationsstörungen sind für viele Betroffene vor allem am Anfang und bei dekompensiertem Tinnitus ein belastendes Problem. Auch hier können Entspannungstechniken helfen.

4.4. Psychotherapie

Bei dekompensiertem, chronischem Tinnitus kann eine Psychotherapie helfen, die Belastungen zu reduzieren. Das wurde auch in Studien nachgewiesen. Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen, wenn die anerkannten Verfahren (Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und psychotherapeutische Verhaltenstherapie) eingesetzt werden, unter Umständen auch in Kombination mit entsprechenden Medikamenten.

Wenn die gesamte Lebenssituation des Patienten stark betroffen ist, kann die Psychotherapie auch stationär erfolgen. Ziele der Therapie sind die Reduzierung des Leidensdrucks sowie die berufliche und/oder soziale Wiedereingliederung. Im besten Fall wird der Tinnitus kompensiert.

4.4.1. App auf Rezept

Eine Verhaltenstherapie zum Umgang mit Tinnitus kann auch mit Hilfe von Gesundheitsanwendungen (DiGA) bzw. Gesundheits-Apps unterstützt werden. Eine ärztliche Verordnung ist für ausgewählte und zertifizierte Anwendungen möglich. Auf Anfrage können Krankenkassen, unabhängig von Verordnungen, die Kosten für Gesundheits-Apps und Webanwendungen übernehmen. Näheres unter Digitale Gesundheitsanwendungen.

4.5. Tinnitus-Kliniken

Wenn ein Tinnitus stationär behandelt werden soll, ist es ratsam, sich um eine entsprechend spezialisierte Klinik zu bemühen, weil diese das gesamte Spektrum einer ganzheitlichen Tinnitustherapie beherrscht und auch im Blick hat. Je nach Zusatzbelastungen sollte man darauf achten, ob z.B. Psychotherapeuten, Internisten, Orthopäden, Sporttherapeuten usw. in der Klinik verfügbar sind. Behandlungen in einer Tinnitus-Klinik gelten entweder als Krankenhausbehandlung oder als stationäre medizinische Reha (siehe unten).

Tinnituskliniken lassen sich im Internet bei verschiedenen Klinik-Suchportalen recherchieren oder man wendet sich an eine Selbsthilfegruppe.

5. Selbsthilfe

6. Medizinische Rehabilitation

Bei nicht kompensiertem Tinnitus (anhaltende Ohrgeräusche plus Begleiterkrankungen, die stark belasten) können auch medizinische Reha-Leistungen Teil des Behandlungskonzepts sein. Die nachfolgenden Links führen zu den sozialrechtlichen Bestimmungen rund um medizinische Reha, die bei Tinnitus und verwandten Erkrankungen infrage kommen können.

6.1. Praxistipps

7. Verwandte Links

Tinnitus

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Letzte Bearbeitung: 19.12.2023

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