Schizophrene und manisch-depressive Psychosen

1. Das Wichtigste in Kürze

Unter Psychosen wird eine Gruppe psychischer Erkrankungen zusammengefasst, die mit Veränderungen der Gedanken, der Wahrnehmung, der Gefühle und des Verhaltens einhergehen. Die Erkrankten können zeitweise nicht zwischen Wirklichkeit und eigenen Vorstellungen unterscheiden. Sie steigen vorübergehend aus der Realität aus, erleben sich selbst  aber nicht als krank, da ihnen ihre Wahrnehmungen sehr real erscheinen.

Schizophrene und manisch-depressive psychotische Störungen haben gemeinsam, dass die Betroffenen den Bezug zu sich selbst und ihrer Umwelt verlieren und sich ihre Persönlichkeit verändert. Viele Menschen mit Psychosen bemerken allerdings keine Veränderung an sich selbst, sondern an ihrer Umwelt. Charakteristisch sind Wahnvorstellungen und Halluzinationen.

2. Formen psychotischer Störungen

Bei den psychotischen Störungen (Psychosen) werden insbesondere folgende Formen unterschieden:

Primäre Psychosen
(Ursache kann nicht ermittelt werden)
Sekundäre Psychosen
(feststellbare Ursache)
Schizophrenie (F20) Organische Psychose (F06, F09)
Schizotype Störung (F21)

Psychische Störungen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (F10 bis F19)

Anhaltende wahnhafte Störungen (F22)  
Akute vorübergehende psychotische Störungen (F23)  
Induzierte wahnhafte Störungen (F24)  
Schizoaffektive Störungen (F25)  
Affektive Störungen (F30 bis F39) mit psychotischen Symptomen  

 

Diese Einteilung findet sich im Diagnosekatalog "Internationale Klassifikation der Krankheiten" (ICD) von der Weltgesundheitsorganisation. Die in Klammern stehenden ICD-Codes sind weltweit anerkannt, um medizinische Diagnosen einheitlich zu benennen. Derzeit aktuell ist die Version ICD-10. Es gibt bereits eine neuere Version der ICD, die ICD-11. Sie gilt seit 1.1.2022, wird aber in Deutschland noch nicht verwendet, weil sie noch nicht vollständig übersetzt ist und die Systeme noch nicht darauf umgestellt sind.

 

  • Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis (Schizophrenie)
    Vor allem das Denken und die Wahrnehmung sind gestört. Einer Schizophrenie liegt keine gespaltene Persönlichkeit zugrunde, wie der Wortsinn („schizo“ = ich spalte, „phren“ = Geist) vermuten lässt.
    Beispiele:
    • paranoide Schizophrenie: mit Verfolgungswahn
    • hebephrene Schizophrenie: mit Schwerpunkt auf Stimmungsveränderungen
    • katatone Schizophrenie: mit körperlicher Erregung oder körperlichem Erstarren
    • Schizophrenie simplex: mit merkwürdigem Verhalten und eingeschränkter Fähigkeit, gesellschaftliche Anforderungen zu erfüllen und Leistungen zu erbringen
  • Schizotype Störung
    Betroffene zeigen exzentrisches Verhalten, anormales Denken und anormale Stimmung und wirken schizophren, obwohl bei ihnen eindeutige schizophrene Symptome fehlen.
  • Wahnhafte Störungen
    Ein Wahn ist das Symptom, das im Vordergrund steht. Bei einem Wahn interpretieren die Betroffenen ihre Umwelt falsch oder geben ihr eine falsche Bedeutung. Beim Wahn liegen inhaltliche Denkstörungen vor, während bei Halluzinationen die Wahrnehmung gestört ist.
  • Organische Psychosen
    Es gibt eine feststellbare organische Ursache, z.B. Hirnschädigungen durch eine Hirnverletzung, Demenz, Epilepsie, Multiple Sklerose, Parkinson oder einen Hirntumor.
  • Durch psychotrope Substanzen ausgelöste Psychosen
    Psychotrope Substanzen sind z.B. Alkohol, Cannabis oder andere Drogen. Der Konsum kann Psychosen auslösen.
  • Schizoaffektive Psychosen
    Wechsel von Symptomen einer Schizophrenie, einer Depression und/oder einer Manie.
  • Affektive Störungen mit psychotischen Symptomen
    Der Überbegriff für Störungen von Stimmung und Antrieb in Richtung einer Depression oder Manie oder in beide Richtungen (= bipolare Störung) ist "affektive Psychosen". Sie können mit psychotischen Symptomen einhergehen, das heißt mit einem Realitätsverlust verbunden sein. Ein veralteter Begriff für affektiven Störungen mit Realitätsverlust ist "affektive Psychosen".

3. Auftreten und Verlauf von Psychosen

Psychosen sind relativ häufig. In einem Fachartikel aus dem Jahr 2007 ("Lifetime prevalence of psychotic and bipolar I disorders in a general population" von Perälä et al.) ist z.B. die Rede davon, dass insgesamt weltweit 3.48% der Menschen irgendwann im Leben eine Form von Psychose erleben. Meistens brechen sie zum ersten Mal in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter aus. Je nach Störungsform, Persönlichkeit, Umfeld und Therapie verlaufen Psychosen sehr unterschiedlich.

Sie verlaufen in Phasen:

  • In der sog. Prodromalphase treten erste Vorzeichen auf, z.B. Depressionen und sog. Minussymptome (siehe unten).
  • In der akuten Phase sind die Symptome sehr ausgeprägt und es kommt zu den sog. Plussymptomen (siehe unten) wie z.B. Halluzinationen oder Wahn. Oft ist in diesen Phasen eine stationäre Behandlung nötig.
  • In der sich daran anschließenden Stabilisierungsphase brauchen viele Ruhe und Zeit zur Erholung.
  • In der sog. Remissionsphase gehen die Symptome stark zurück oder verschwinden ganz.

Ein Teil der Betroffenen durchlebt nur eine einmalige Akutphase, häufig im Zusammenhang mit einer Lebenskrise. Bei einigen kommt es in Belastungssituationen zu erneuten psychotischen Episoden, jedoch können sie zwischen den Akutphasen ein relativ normales Leben führen. Andere haben auch zwischen den akuten Episoden stark belastende Symptome.

4. Ursachen von Psychosen

Sekundäre Psychosen werden durch Krankheiten oder Verletzungen (organische Psychosen) verursacht, oder durch den Konsum sog. psychotroper Substanzen ausgelöst, also z.B. von Alkohol, Cannabis, LSD oder anderen Drogen. Es kann allerdings sein, dass Menschen mit schon bestehenden psychotischen Symptomen oder mit einer besonderen Anfälligkeit für Psychosen eher solche Substanzen konsumieren. Von daher steht zwar fest, dass ein Zusammenhang zwischen dem Konsum und Psychosen besteht, aber nicht, ob der Konsum auch wirklich die Ursache ist.

Bei primären Psychosen ist keine konkrete Ursache feststellbar.

Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell ist das derzeit am besten akzeptierte Ursachenmodell zur Entstehung von Psychosen und berücksichtigt neurologische, psychologische und soziale Faktoren. Es geht davon aus, dass bei Betroffenen eine genetische Anfälligkeit (Vulnerabilität) für die Entstehung einer psychotischen Erkrankung vorhanden ist. Wenn dann bei Belastungssituationen (z.B. Auszug aus dem Elternhaus, Trennung vom Partner oder Tod eines Angehörigen) keine ausreichenden Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, können sich psychotische Symptome entwickeln.

Bei einer genetischen Veranlagung muss es jedoch nicht zwingend zu einer Erkrankung kommen. Es gibt einige schützende (protektive) Faktoren, wie eine gute soziale Einbindung und vielfältige Bewältigungsmöglichkeiten, die den Ausbruch einer Psychose verhindern können.

Als neurologische Ursachen werden Störungen der Botenstoffe im Gehirn vermutet, welche die Informationsverarbeitung im Gehirn beeinflussen. Vor allem der Botenstoff Dopamin ist bei einer Schizophrenie erhöht.

Studien ergeben z.B., dass in Großstädten Psychosen häufiger vorkommen als in ländlichen Regionen und dass ethnische Minderheiten in Gebieten mit wenig ethnischer Durchmischung häufiger betroffen sind. Das zeigt, dass die Umwelt sich auf das Psychoserisiko der Menschen auswirkt.

5. Symptome von Psychosen

Die Symptome von Psychosen sind vielfältig und individuell verschieden. Die ersten Anzeichen der Erkrankung nehmen oft Freunde oder Angehörige wahr. Sie bemerken Persönlichkeitsveränderungen oder wenn die betroffene Person wie fremdgesteuert wirkt. Ihre Hilfe ist wichtig, um Psychosen möglichst früh zu erkennen.

5.1. Beispiel: Kernsymptome einer Schizophrenie

Die Kernsymptome einer Schizophrenie werden grob in 3 Kategorien eingeteilt:

  • Positive Symptome (sog. Plussymptome)
  • Negative Symptome (sog. Minussymptome)
  • Katatone Symptome (sog. Psychomotorische Störungen)

5.2. Plussymptomatik

Zu den Plussymptomen zählen:

  • Wahn
    Eine nicht korrigierbare, „falsche“ Beurteilung der Realität (inhaltliche Denkstörung): Am häufigsten leiden die Betroffenen unter Verfolgungs- und Beziehungswahn, Größenwahn und Schuldwahn. Patienten mit Verfolgungswahn fühlen sich z.B. von Außerirdischen verfolgt oder glauben, dass andere Menschen ihnen Schaden zufügen wollen. Im Beziehungswahn beziehen Betroffene allgemeine Ereignisse auf sich selbst oder interpretieren bestimmte Gegenstände bzw. Personen als Bedrohung. Sie glauben z.B., dass Radiosprecher ihnen geheime Botschaften übermitteln. Patienten mit Größenwahn sind überzeugt eine berühmte Persönlichkeit, ein unerkanntes Genie o.ä. zu sein. Im Schuldwahn denken die Patienten für das Unglück oder Leiden anderer verantwortlich zu sein, obwohl es dafür objektiv betrachtet keinen Anlass gibt.
  • Halluzinationen
    Sinneswahrnehmung, der kein realer Sinnesreiz zugrunde liegt: Diese Täuschung kann alle Sinnesorgane betreffen, wobei es am häufigsten zu akustischen Halluzinationen kommt. Viele hören Stimmen, die z.B. ihr Verhalten kommentieren oder ihnen Befehle erteilen. Meist werden diese Stimmen als bedrohlich empfunden. Aber auch optische (z.B. Sehen von Gegenständen, Personen, Farben), olfaktorische (Gerüche) oder sensorische (z.B. Berührungen) Halluzinationen können auftreten.
  • Ich-Störungen
    Die Grenze zwischen der eigenen Person und der Umwelt wird als durchlässig empfunden. Körper, Gedanken und/oder Gefühle werden als fremd erlebt. Betroffene sind der Meinung, dass andere ihre Gedanken hören können, dass andere ihnen ihre Gedanken entziehen oder dass ihre Gedanken und Handlungen von anderen Menschen kontrolliert und beeinflusst werden.
  • Formale Denkstörungen
    Der Ablauf der Gedanken ist gestört. Darunter fallen Verzerrungen des herkömmlichen Denkablaufs, Zerfahrenheit mit sprunghaften und unlogischen Gedankengängen oder Abbruch eines Gedankengangs ohne erkennbaren Grund. Typisch ist z.B. das Erfinden neuer Begriffe und Wortkombinationen oder ständige Wiederholen bestimmter Sätze oder Gedanken.

5.3. Minussymptomatik

Zu den Minussymptomen zählen u.a.

  • sozialer Rückzug,
  • emotionale Verarmung oder Verflachung (weniger oder weniger starke Gefühle erleben),
  • Antriebsschwäche,
  • Spracharmut,
  • Aufmerksamkeitsstörungen,
  • Schlafstörungen,
  • mangelnde Körperpflege und
  • psychomotorische Verlangsamung, z.B. verlangsamte Bewegungen oder Reaktionen.

5.4. Katatone Symptome

Bei ausgeprägteren Schweregraden der Krankheit können sich sog. katatone Symptome zeigen. Das sind psychomotorische Störungen, die von starker Erregung, bis hin zur körperlichen Erstarrung reichen.

Manche Patienten berichten von einer Überempfindlichkeit gegenüber Licht oder Farben, Geräuschen, Gerüchen oder Geschmacksempfindungen. Auch das Zeitempfinden kann gestört sein. Die intellektuellen Fähigkeiten sowie die Persönlichkeit sind allerdings nicht beeinträchtigt.

6. Praxistipp

Kostenloser Download: Ratgeber Psychosen mit Informationen zu allen oben stehenden Themen und den Informationen in den nachfolgend verlinkten Artikeln.

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Letzte Bearbeitung: 28.10.2024

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