Pflegebegutachtung

1. Das Wichtigste in Kürze

Die Pflegekasse beauftragt beim Medizinischen Dienst (MD) eine Pflegebegutachtung, um die Pflegebedürftigkeit einer Person festzustellen. Dazu wird in 6 Lebensbereichen (Module 1 bis 6) sowie in den Bereichen Haushaltsführung und außerhäusliche Aktivitäten (Module 7 bis 8) die benötigte Hilfe abgefragt bzw. die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit ermittelt. Die Begutachtung erfolgt meist durch einen Hausbesuch, es gibt aber auch andere Arten der Begutachtung. Pflegebedürftige sollten sich gut vorbereiten, um ein genaues Bild zu vermitteln. Eine Entscheidung über den Leistungsanspruch gegenüber der Pflegeversicherung soll spätestens innerhalb von 25 Arbeitstagen erfolgen, in besonderen Fällen innerhalb von 5 bis 10 Arbeitstagen.

2. Tipps zur Vorbereitung

Wenn der Medizinische Dienst (MD) den Besuch zur Begutachtung ankündigt, bereiten Sie sich auf den Termin vor:

  • Überlegen Sie, welche Unterstützung Sie brauchen und wie Ihr Alltag abläuft. Dazu gehört u.a.:
    • Wie kommen Sie zurecht, wenn Sie sich zu Hause bewegen?
    • Können Sie sich selbst waschen und anziehen?
    • Können Sie Ihren Tagesablauf planen und sich beschäftigen oder Termine selbstständig vereinbaren?
    • Wie können Sie Ihren Haushalt führen, z.B. Wäsche waschen oder putzen?
    • Sind Sie zeitlich und örtlich orientiert?
    • Können Sie Medikamente selbstständig einnehmen?
  • Ein Pflegetagebuch kann helfen, den tatsächlichen Pflegeaufwand vor der Begutachtung zu dokumentieren.
  • Bitten Sie Personen oder Angehörige, von denen Sie bereits Unterstützung erhalten, bei diesem Termin dabei zu sein.
  • Wenn Sie eine rechtliche Betreuung haben, sollte die Person, die Sie in rechtlichen Angelegenheiten vertritt, anwesend sein.
  • Legen Sie notwendige Unterlagen bereit, z.B. ärztliche Unterlagen, Entlassungsberichte von Krankenhäusern oder Reha-Kliniken, hausärztliche Bescheinigungen, Gutachten und Atteste.
    Eine Checkliste, damit Sie keine Unterlagen vergessen, können Sie hier downloaden: checkliste-unterlagen-pflegegutachten.pdf.

3. Wie läuft die Pflegebegutachtung ab?

Die Pflegekasse gibt beim Medizinischen Dienst (MD) oder bei einer anderen berechtigten unabhängigen Person ein Gutachten mit der Prüfung der Pflegebedürftigkeit in Auftrag. Bei Privatversicherten wird die Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Privaten Krankenversicherung – MEDICPROOF – festgestellt, das Begutachtungssystem ist identisch. Beim Begutachtungstermin im Wohnumfeld der pflegebedürftigen Person erfasst der MD die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und der Fähigkeiten und hält diese im Gutachten fest. Weitere Arten der Begutachtung siehe unten.

Die Pflegekasse stuft die pflegebedürftige Person nach Erhalt des Gutachtens in einen Pflegegrad ein und sendet der antragstellenden Person den Leistungsbescheid zu. Der Bescheid enthält Angaben zum Pflegegrad und den daraus resultierenden Leistungen der Pflegekasse (Pflegegeld bzw. Pflegesachleistungen). Ist eine Verringerung des Hilfebedarfs nach Einschätzung des MD zu erwarten, kann der Bescheid auf bis zu 3 Jahre befristet werden.

Ist vorhersehbar, dass sich der Pflegegrad in absehbarer Zeit ändert, kann in angemessenen Abständen ein Wiederholungsgutachten durchgeführt werden. Der erneute Begutachtungstermin wird abhängig von der im Pflegeplan des Erstgutachtens genannten Prognose festgelegt. Bei Kindern ist ein Wiederholungsgutachten in der Regel nach 2 Jahren durchzuführen.

Soll nicht der MD, sondern eine andere unabhängige Person mit der Prüfung beauftragt werden, muss die Pflegekasse der antragstellenden Person mindestens 3 Personen, die begutachten können, zur Auswahl nennen. Dies gilt auch, wenn innerhalb von 4 Wochen ab Antragstellung keine Begutachtung erfolgt ist und die Pflegekasse diese Verzögerung zu vertreten hat. Die antragstellende Person muss der Pflegekasse ihre Entscheidung innerhalb einer Woche mitteilen.

4. Wie wird der Pflegegrad bestimmt?

Bei der Begutachtung wird der Grad der Selbstständigkeit durch Feststellung der Fähigkeiten in 6 verschiedenen Lebensbereichen (sog. Modulen) ermittelt. Dabei werden verschiedene Kriterien mit Punktwerten versehen, die je nach Modul unterschiedlich gewichtet werden. Die Gesamtbewertung ergibt die Einstufung in einen von 5 Pflegegraden.

Grundlage für die Einstufung in einen Pflegegrad durch die Pflegekasse sind die "Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit" nach dem SGB XI. Diese können beim Medizinischen Dienst Bund (MD-Bund) unter www.md-bund.de > Richtlinien/Publikationen > Richtlinien/Grundlagen für Begutachtungen und Qualitätsprüfungen > Pflegebedürftigkeit heruntergeladen oder als Broschüre bestellt werden.

5. Module

Module Beispiele
1. Mobilität Fortbewegung im Wohnbereich, Treppensteigen
2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten Örtliche und zeitliche Orientierung
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen Abwehr pflegerischer Maßnahmen, Antriebslosigkeit
4. Selbstversorgung Waschen, Duschen, Baden, Ankleiden, Toilettengang
5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Medikation, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibung sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Verbandwechsel und Wundversorgung, Arztbesuche
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte Gestaltung Tagesablauf, Kontaktpflege

 

Es gibt noch zwei weitere Bereiche (Modul 7: außerhäusliche Aktivitäten und Modul 8: Haushaltsführung), die zwar nicht in die Ermittlung des Pflegegrads mit einfließen, jedoch erhoben werden, um eine bessere Versorgungsplanung und eine individuelle Beratung zu ermöglichen. Sie dienen der Feststellung des Präventions- oder Rehabilitationsbedarfs. Zu diesem Bedarf kann im Gutachten eine Empfehlung ausgesprochen werden.

7. Außerhäusliche Aktivitäten Veranstaltungen besuchen, Besuch einer Tagespflege
8. Haushaltsführung Einkaufen, Reinigungsarbeiten, Behördengänge

 

Unabhängig von der Feststellung des Pflegegrads können Maßnahmen zur Förderung oder zum Erhalt der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, der Prävention und der Rehabilitation (über die bisherige Versorgung hinaus) empfohlen werden, z.B.

5.1. Praxistipps: Empfehlung zu Heilmitteln und Maßnahmen der Rehabilitation

Wenn Sie bei der Begutachtung zustimmen, leitet die Pflegekasse

  • eine Mitteilung über Ihren Rehabilitationsbedarf an den zuständigen Rehaträger weiter. Dies gilt gleichzeitig als Antrag einer Rehamaßnahme.
  • eine Mitteilung über die empfohlenen Heilmittel an den behandelnden Arzt weiter.

5.2. Wie wird die Selbstständigkeit in der Pflegebegutachtung bewertet?

Die Punktebewertung der einzelnen Kriterien der Module 1, 4 und 6 erfolgt anhand der Beurteilung der Selbstständigkeit. Diese ist wie folgt definiert:

  • Selbstständig: Es besteht die Fähigkeit, eine Handlung oder Aktivität allein, d.h. ohne Unterstützung einer anderen Person, aber ggf. mit Nutzung von Hilfsmitteln durchzuführen.
  • Überwiegend selbstständig: Der größte Teil der Aktivität kann alleine durchgeführt werden. Die Pflegeperson muss nur unterstützend tätig werden, z.B. durch Zurechtlegen von Gegenständen, einzelne Handreichungen, Aufforderungen oder um die Sicherheit zu gewährleisten.
  • Überwiegend unselbstständig: Die Aktivität kann nur zu einem geringen Anteil selbstständig durchgeführt werden, aber eine Beteiligung ist möglich. Diese setzt ggf. eine ständige Anleitung oder Motivation voraus und Teilschritte müssen übernommen werden.
  • Unselbstständig: Die Aktivität kann nicht eigenständig durchgeführt werden, auch nicht teilweise. Es sind kaum oder keine Ressourcen vorhanden. Die Pflegeperson muss nahezu alle (Teil-)Handlungen durchführen. Eine minimale Beteiligung der pflegebedürftigen Person ist nicht zu berücksichtigen.

6. Welche Arten der Begutachtung gibt es?

Um die Pflegebedürftigkeit festzustellen, gibt es verschiedene Arten der Begutachtung. Versicherte können die Art des Gutachtens nicht auswählen. Die Auswahl unterliegt der fachlichen Einschätzung durch den MD und richtet sich nach bestimmten Voraussetzungen und persönlichen Umständen der pflegebedürftigen Person.

6.1. Gutachten nach Hausbesuch

Die Begutachtung findet im häuslichen Umfeld der antragstellenden Person statt und ist die regelhafte Form der Begutachtung.

6.2. Gutachten nach Aktenlage

Ein Gutachten nach Aktenlage ist möglich, wenn eine persönliche Untersuchung der antragstellenden Person im Wohnbereich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die antragstellende Person im Krankenhaus liegt, verstorben ist oder wenn die Untersuchung aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.

Darüber hinaus kann ein Gutachten ausnahmsweise nach Aktenlage auch bei Höherstufungs- oder Rückstufungsanträgen, Widerspruchsgutachten oder Wiederholungsbegutachtungen erstellt werden, wenn die Informationslage eindeutig ist. Dies bedeutet, dass alle Informationen vorliegen, die erforderlich sind, um die Kriterien der Module 1 bis 6 fachlich zu bewerten.

6.3. Gutachten nach strukturiertem Telefoninterview bzw. per Videotelefonie

Eine Begutachtung nach strukturiertem Telefoninterview bzw. per Videotelefonie kann nur dann im ambulanten oder stationären Bereich durchgeführt werden, wenn es sich um eine Höherstufungs- oder Wiederholungsbegutachtung einer Person ab dem 14. Geburtstag handelt.

Die Begutachtung durch strukturiertes Telefoninterview bzw. per Videotelefonie ist ausgeschlossen, wenn

  • es sich um eine erstmalige Begutachtung handelt.
  • es sich um eine Begutachtung aufgrund eines Widerspruchs handelt.
  • die pflegebedürftige Person unter 14 Jahre ist.
  • bei einer unmittelbar vorangegangenen Begutachtung keine Pflegebedürftigkeit festgestellt wurde.
  • das Telefoninterview bzw. das Interview per Videotelefonie aus fachlicher Sicht nicht geeignet oder
  • eine danach erforderliche Person zur Unterstützung nicht anwesend ist oder
  • die Voraussetzungen für das Telefoninterview bzw. das Interview per Videotelefonie zwar vorliegen, die antragstellende Person diese Begutachtungsart aber ablehnt.

6.4. Begutachtungen mit verkürzter Begutachtungsfrist

Eilbegutachtung innerhalb von 5 Arbeitstagen

Aufenthalt Rehaklinik: Stellen Versicherte, bei denen während eines Aufenthalts in einer (Reha-)Klinik eine Pflegebedürftigkeit offensichtlich wird, einen Antrag auf Pflegeleistungen, muss der MD unverzüglich eine Pflegebegutachtung durchführen.
Der MD führt die Begutachtung in der Regel nach Aktenlage durch (sog. Überleitungsgutachten) und leitet anschließend seine Empfehlung an die Pflegekasse weiter. Die Begutachtung muss innerhalb von 5 Arbeitstagen erfolgen und die Entscheidung soll zeitnah mitgeteilt werden. Dieses Verfahren soll einen schnellen und reibungslosen Übergang vom Krankenhaus oder der Reha-Einrichtung in eine Pflegeeinrichtung oder nach Hause sicherstellen.
Nach Entlassung aus der (Reha-)Klinik wird dieser vorläufige Pflegegrad durch den MD im Rahmen einer persönlichen Begutachtung überprüft.
Vorteil dieser Überleitungs-Vorgehensweise ist, dass die Zahlungen der Pflegekasse ab Antragstellung laufen, sodass auch die notwendigen Pflegeleistungen von Anfang an übernommen werden.

Palliative Situation: Wird eine betroffene Person von einem ambulanten Palliativteam betreut oder befindet sich in einem Hospiz, muss das auf dem Pflegeantrag vermerkt werden, damit die Begutachtung schneller stattfindet. Eine zeitnahe Begutachtung ist bei Menschen in einer palliativen Situation wichtig, da ihre Lebenserwartung begrenzt ist und sie gleichzeitig einen steigenden Pflegebedarf haben.

Begutachtung innerhalb von 10 Arbeitstagen

Antrag Pflegezeit/Familienpflegezeit: Wurde gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person die Inanspruchnahme von Pflegezeit oder Familienpflegezeit vereinbart, ist eine Begutachtung innerhalb von 10 Arbeitstagen nach Antragstellung durchzuführen.

Weitere Informationen zu den Begutachtungsfristen unter Pflegeantrag.

7. Häufige Fehlerquellen bei der Pflegebegutachtung

Bei der Pflegebegutachtung können verschiedene Fehler auftreten, die zu einer falschen Einstufung oder Ablehnung des Pflegegrads führen können. Hier sind einige der häufigsten Fehler und wie sie vermieden werden:

  • Fehlende Informationen oder ungenaue Beschreibung der Einschränkungen: Wenn wichtige Informationen, z.B. ärztliche Unterlagen, fehlen oder die Einschränkungen nicht genau beschrieben werden, kann der Gutachter den Pflegebedarf nicht richtig einschätzen.
  • Unzureichende Untersuchung durch den Gutachter: Manchmal untersucht der Gutachter nicht alle relevanten Bereiche des täglichen Lebens ausreichend. Ursache dafür kann Zeitdruck sein, mangelnde Kenntnisse oder Fehleinschätzung, z.B.: Bei einem gepflegtem Haushalt wird angenommen, dass eine ausreichende Selbstversorgung gegeben ist.
  • Verharmlosung oder Unterschätzung der eigenen Einschränkungen: Viele Betroffene neigen dazu, ihre Einschränkungen zu verharmlosen oder zu unterschätzen, weil sie sich nicht pflegebedürftig fühlen oder es ihnen unangenehm ist, auf Hilfe angewiesen zu sein.

7.1. Praxistipps

  • Bereiten Sie sich gut vor, indem Sie alle relevanten Unterlagen sammeln und Ihre Einschränkungen genau beschreiben (siehe Tipps zur Vorbereitung).
  • Stellen Sie sicher, dass alle wichtigen Aspekte Ihres Alltags besprochen und untersucht werden.
  • Schildern Sie ehrlich und detailliert Ihre täglichen Herausforderungen und den benötigten Pflegeaufwand.

8. Widerspruch

Ist die pflegebedürftige Person mit der Entscheidung der Pflegekasse über den Pflegegrad nicht einverstanden, kann sie innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen.

9. Wer hilft weiter?

  • Pflegestützpunkte bieten Beratung zur Pflegebegutachtung an. Sie unterstützen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bei der Vorbereitung auf die Begutachtung. Die Pflegefachkräfte in den Pflegestützpunkten können helfen, alle relevanten Unterlagen zusammenzustellen und Fragen zur Begutachtung zu klären, und können Tipps zur Ermittlung des Pflegebedarfs geben.
  • Pflegekassen sowie das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit mit dem Schwerpunkt Pflegeversicherung, Telefon: 030 3406066-02, Mo–Mi 8–16 Uhr, Do 8–18 Uhr, Fr 8–12 Uhr.

10. Verwandte Links

Pflegeantrag

Pflegegrade

Pflegeleistungen

Ratgeber Pflege

Ratgeber Pflegecheck

 

Rechtsgrundlagen: §§ 15, 17, 18, 33 SGB XI

Letzte Bearbeitung: 04.11.2024

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