Die Eingliederungshilfe-Verordnung ist im Zusammenhang mit dem sog. Bundesteilhabegesetz (BTHG) außer Kraft getreten. Doch übergangsweise gilt die darin enthaltene Definition für eine wesentliche Behinderung weiter, bis es eine neue Verordnung dafür gibt. Eine wesentliche Behinderung ist Voraussetzung für einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und kann körperlich, geistig oder seelisch sein. Die derzeitige Definition passt nicht zur Behindertenrechtskonvention und enthält veraltete und diskriminierend wirkende Sprache.
Die Eingliederungshilfe-Verordnung ist außer Kraft getreten, was bedeutet, dass sie nicht mehr gültig ist. Denn mit dem sog. Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde das Recht der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst. Die Eingliederungshilfe-Verordnung regelte die Eingliederungshilfe als Teil der Sozialhilfe, die es so heute nicht mehr gibt.
Das BTHG hat zum Ziel, die Situation für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und außerdem den Behinderungsbegriff zu modernisieren und diskriminierende Sprache aus den Regelungen zu entfernen. Näheres unter Bundesteilhabegesetz.
Im BTHG war in der 4. und letzten Umsetzungsstufe geplant, zum 1.1.2023 die Regelung, wer Anspruch auf Eingliederungshilfe hat (§ 99 SGB IX), zu ändern. Der neue Behindertenbegriff aus der Behindertenrechtskonvention sollte verwendet werden. Diskriminierende rechtliche Regelungen sollten verschwinden. Gleichzeitig sollte sich nichts daran ändern, wer ein Recht auf Eingliederungshilfe hat.
Diese Idee ist gescheitert. Die dazu durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass sich mit den sprachlichen Änderungen auch geändert hätte, wer die Hilfen bekommt. Manche wären dazu gekommen, andere hätten Ansprüche verloren.
Darum wurde übergangsweise eine andere Regelung eingeführt: Der § 99 SGB IX wurde schon 2021 sprachlich geändert, nimmt aber als Übergangsregelung Bezug auf die außer Kraft getretene Eingliederungshilfe-Verordnung. Die ersten 3 Artikel dieser Verordnung sollen zunächst definieren, was eine "wesentliche Behinderung" ist. Das ist eine der Voraussetzungen für einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen.
Die Definition einer "wesentlichen Behinderung" aus der Eingliederungshilfe-Verordnung gilt noch so lange, bis eine neue Verordnung in Kraft tritt. Der Zeitpunkt ist noch offen.
In Deutschland gilt die Behindertenrechtskonvention. Demnach ist eine Behinderung nicht etwas, was in einem Menschen liegt. Sondern eine Beeinträchtigung/Besonderheit eines Menschen führt in Wechselwirkung mit Barrieren zu einer Behinderung. Näheres unter Behinderung.
Die Eingliederungshilfe-Verordnung arbeitet nicht mit diesem modernen Behinderungsbegriff, sondern definiert eine wesentliche Behinderung allein als Defizit eines Menschen.
Die Eingliederungshilfe-Verordnung verwendet den Begriff "Einschränkung der Teilhabefähigkeit". Damit geht sie davon aus, es gebe Menschen, die nicht voll am Leben in der Gesellschaft teilhaben können, weil sie sind, wie sie sind. Damit ignoriert die Verordnung, dass Barrieren in der Umwelt (z.B. eine Treppe) oder in den Einstellungen der Mitmenschen (z.B. das Vorurteil, Menschen mit Behinderungen vieles nicht zuzutrauen) die Teilhabe eines Menschen einschränken und behindern können. Sie geht stattdessen davon aus, es liege an dem Menschen mit Behinderung, dass er nicht teilhaben kann.
Wer davon ausgeht, es gebe Menschen, die nicht zur Teilhabe fähig sind, geht davon aus, dass diese Menschen sich ändern müssen, damit sie teilhaben können (Integration).
Die Behindertenrechtskonvention und auch das BTHG bauen auf dem Gedanken der Inklusion auf. Dabei geht es darum, dass die Welt so gestaltet werden soll, dass alle Menschen, so wie sie sind, teilhaben können. Näheres unter Behinderung > Inklusion. Dazu passt die Eingliederungshilfe-Verordnung nicht.
Die Eingliederungshilfe-Verordnung verwendet die Begriffe „geistig wesentlich behindert" und „Schwäche ihrer geistigen Kräfte“. Betroffene kennen den Begriff "geistig behindert" als Schimpfwort und kritisieren ihn als diskriminierend. Sie erleben eine damit verbundene Stigmatisierung. Als Alternative wird "Beeinträchtigungen der intellektuellen Funktionen“ diskutiert.
Die Eingliederungshilfe-Verordnung enthält einige Begriffe, die veraltet und defizitorientiert sind wie z.B.:
Die Eingliederungshilfe-Verordnung unterscheidet:
Für alle drei Arten einer Behinderung ist in der Eingliederungshilfe-Verordnung Voraussetzung, dass die Menschen "in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erheblich eingeschränkt" sein müssen.
"Körperlich wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen der folgenden Gruppen sein:
"Geistig wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen mit "geistiger Schwäche" sein.
"Seelisch wesentlich behindert" können nach der Eingliederungshilfe-Verordnung Menschen mit mindestens einer der folgenden "seelischen Störungen" sein:
Was genau unter diese Kategorien fällt, wird immer noch anhand einer Orientierungshilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe aus dem Jahr 2009 entschieden, obwohl diese Träger nicht mehr zuständig sind.
Die Arbeitsgruppe "Leistungsberechtigter Personenkreis in der Eingliederungshilfe" hat einen Entwurf für eine Verordnung über einheitliche Leistungsvoraussetzungen für die Eingliederungshilfe (VOLE) erstellt. Diese Verordnung soll regeln, nach welchen Kriterien der Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe konkret erfolgt. Zu dem Entwurf der VOLE konnte allerdings noch keine Einigung erzielt werden. Daher hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Juni 2022 eine Vorab-Evaluierung der VOLE in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse können Sie nachlesen unter www.bmas.de > Service > Publikationen > Forschungsberichte > Untersuchung der Auswirkungen der Neufassung der den Leistungszugang in der Eingliederungshilfe konkretisierenden Verordnung.
Die Orientierungshilfe zum Behinderungsbegriff der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe aus dem Jahr 2009 können Sie unter www.bagues.de > Orientierungshilfe zum Behinderungsbegriff unten auf der Startseite unter "Häufig besucht" downloaden.